Heute vor 80 Jahren: Tod in Losheim

[Jünkerath - Losheim] - Losheimergraben - Weywertz
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Michael Heinzel
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Heute vor 80 Jahren: Tod in Losheim

Beitrag von Michael Heinzel »

Wo zwischen Losheim und Losheimergraben unter der Brücke der B265 heute die belgisch-deutsche Staatsgrenze verläuft, kam es am 11. September 1944 zum schwersten Eisenbahn-Unglück des Wk2 in der Eifel mit 28 Todesopfern.
Die deutsche Wehrmacht befand sich nach dem Zusammenbruch der Westfront seit Ende August in heilloser Flucht vor den Amerikanern. Am 3. September war Brüssel befreit worden, Lüttich am 7. und Luxemburg am 10. An diesem Tag stand ein erster amerikanischer Vortrupp bereits in Weywertz, zwei Tage später wurde der Bütgenbacher Viadukt gesprengt und Hemmeres und Roetgen wurden als erste Ortschaften im Reichsgebiet eingenommen.
Die letzten Reichsbahn-Dienststellen in Ostbelgien (Bm Malmedy, Bw St.Vith) wurden am Nachmittag bzw. in der Nacht des 10. September geräumt. Gegen 22 Uhr hatten sich in Waimes Bernhard Polock, Lt. Ma Aachen, und Paul Kabisch, Lt. Bm Malmedy, mit ihren Räumzügen getroffen. Von dort erteilten sie telefonisch dem in St. Vith bereitstehenden Räumzug die Abfahrt über die Westeifelstrecke Steinebrück – Bleialf – Gerolstein nach Jünkerath. Polock fuhr dann nachts mit seinem Räumzug zurück nach Aachen − durchs Venn entlang der amerikanischen Einheiten, die einen Tag später in Roetgen einmarschieren sollten. Die Vennbahn war nicht mehr besetzt, so dass er sich seine Fahrwege selber stellen musste.

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Auszug für den 10.9.44 aus dem Räumungskalender von Bernhard Polock (BuA, Slg. Sarter). Das Dokument zeigt einerseits die Dramatik der Situation dieser Tage, andererseits die Entschlossenheit und das Verantwortungsbewusstsein von Polock, der sich noch auf den Weg ins 80 Kilometer entfernte St.Vith gemacht hatte, während die NS-Repräsentanten aus Aachen sich Hals über Kopf verdrückten.

Kabisch wählte dagegen den Weg über die Vennquerbahn nach Jünkerath. Er kam aber nur noch bis Losheimergraben. Auf dem anliegenden Bild ist zu erkennen, dass seine Zuglok Schäden an der vorderen Pufferbohle aufweist, die auf eine Mine hindeuten könnten. Andererseits weist der Kessel Einschusslöcher von Bordwaffen auf und die Schäden am Zug deuten eher auf Raketenbeschuss als auf Minenschäden. Es kann sich dabei aber durchaus um unabhängige Ereignisse gehandelt haben, denn eine Zeitzeugin berichtete, dass der Zug hier in den nächsten Tagen mehrfach Ziel von Tieffliegern war.

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Der Malmedyer Räumzug mit der 50 2700 in Losheimergraben. Das Bild datiert aus der Periode zwischen 16. September und 17. Dezember 1944, als die Amerikaner hier in „Buchholz Station“ das Hauptquartier des 3..Batallions ihres 394. US-Infanterieregiments eingerichtet hatten. (Foto NARA 39679). Die Lok 50 2700 wurde am 26. Juli 1942 von Henschel an das Bw Düren ausgeliefert. Im Oktober 1943 war sie zwischenzeitlich in Italien eingesetzt (Wenzel, pers. Mitt.). Wohin sie von dort umbeheimatet wurde, ist nicht bekannt. Nachdem im März 1946 der Bütgenbacher Viadukt wieder hergestellt worden war, wurde sie von der SNCB geborgen und wieder instand gesetzt. Sie wurde als 25.022 in Belgien eingesetzt und kam am 8. Juni 1950 im Rahmen eines Loktausches zurück an die BD Köln. Sie wurde schließlich am 11. August.1972 in Lehrte z-gestellt und am 8.11.1972 dort ausgemustert. Ein Foto von ihr hat sich nicht finden lassen.

In dieser Situation hatte man für den 11. September trotzdem noch Jung und Alt aus Ahrdorf und Alendorf an der Oberahr zu Schanzarbeiten verpflichtet. Der Zug 3084, war an diesem Tag nur noch bis Losheimergraben statt bis Malmedy vorgesehen und auch das war schon ein Himmelfahrtskommando. Zur Abwehr der ständigen Tieffliegerangriffe war der Zug hinten durch einen Güterwagen mit Flak-Geschütz ergänzt. In den offenen Kurven hinter Losheim erwarteten dann auch schon vier amerikanische Thunderbold-P47 der 368th US-Fighter Group aus St. Simon-Clastres den Zug. Als der Lokführer das Abwehrfeuer seiner Flak bemerkte, versuchte er wohl, es noch bis unter die Brücke der Reichsstraße Aachen − Trier zu schaffen in der Hoffnung, dort wenigstens etwas Deckung zu finden. Vor der Brücke bremste er ihn scharf ab, aber sie wurden bereits aus den Bord-MG‘s beschossen. Der Wagen mit den Ahrdorfern bekam einen Raketentreffer, wobei viele den Tod fanden. Wer noch flüchten konnte, versuchte, die Wagons zu verlassen und die Böschung vom Gleiseinschnitt hinauf auf die Straße zu fliehen. Aber schon kehrten die Jäger noch einmal zurück und mähten auch die nieder, die noch lebend aus dem Zug gekommen waren. Die Verletzten irrten unter Schock am Gleis entlang. Vom nahe gelegenen Forsthaus war der Angriff beobachtet worden und der Förster und seine Söhne, obwohl selbst betroffen, versuchten mit Handtüchern und Bettlaken die Verletzten notdürftig zu versorgen. Leichen lagen in dem getroffenen Wagen, aber einige hatte es auch in die umliegenden Gebüsche und sogar bis auf die Straßenbrücke geschleudert. Auch Soldaten kamen herbei und versuchten zu helfen, aber man musste ständig auf weitere Angriffe aus der Luft gefasst sein. Von Losheim her war der Bahnmitarbeiter Meyer mit dem Fahrrad zu Hilfe geeilt; ihm zerfuhr dabei noch eine deutsche Panzerbesatzung sein Rad, ohne sich um Hilfeleistung zu kümmern. Es dauerte ewig, bis aus Losheim ein paar offene Leiterwagen herbeikamen, auf denen die Verletzten vom Forsthaus ins Dorf gebracht und in der Kirche notdürftig versorgt werden konnten. Und es dauerte weitere Stunden, bis sie von Ambulanzfahrzeugen zum Verbandsplatz Hammerhütte oder ins Krankenhaus nach Stadtkyll gefahren werden konnten. Der Lokführer Josef Stolz und sein Heizer Paul Scheider wurden nach Schmidtheim ins Lazarett gebracht, wo sie noch in der Nacht verstarben.

Am Nachmittag wurde der Zug mit der Lok aus eigener Kraft in den Bahnhof Losheim zurück gedrückt. An Lok, Wagen und Gleiskörper hatte der Beschuss offenbar doch nicht so starke Schäden angerichtet, so dass der Zug noch fahrfähig war. Man hatte dazu aus Hergersberg den Michel Metlen beauftragt, der im Straßenbau arbeitete und mit der Bedienung einer Dampfwalze vertraut war. Er drückte nun mit der Dampflok die Wagen zwei Kilometer zurück in den Bahnhof. Während die Wagen dort abgestellt blieben, wollte man die Lok keinesfalls im Bahnhof stehen haben, um nicht weitere Tiefflieger anzulocken. Deshalb hatte man Michel zunächst aufgefordert, die Lok wieder in Richtung Losheimergraben abzufahren, aber er weigerte sich strikt, noch einmal am Ort des Grauens vorbei zu fahren. Offenbar hat man dann aber doch noch jemanden gefunden, der die Lok in Richtung Jünkerath weggefahren hat. Die Besatzung des Räumzuges mit der 50 2700 hatte vom Bhf. Losheimergraben aus die Flucht zu Fuß fortgesetzt. Wahrscheinlich haben sie die Lok nachmittags noch nach Jünkerath überführt. Jedenfalls gibt es Aussagen von Zeitzeugen, dass in den nächsten Wochen nur noch die Wagen ohne Lok im Bahnhof Losheim standen.

Am Abend entschied das Militär, die Brücke am Unglücksort, das Forsthaus und auch die Straßenbrücke am östlichen Ortsausgang von Losheim in Richtung Hallschlag zu sprengen. Die beiden Brückensprengungen erwiesen sich als voreilig, denn wenige Wochen später während der Ardennen-Offensive musste die Organisation Todt wieder eine Behelfsbrücke über den Schacht bauen, wie die Losheimer den Graben hier nennen. Am 13. September wird der Eisenbahnviadukt von Bütgenbach von deutschen Truppen gesprengt; dann werden die letzten ostbelgischen Stellungen hastig geräumt und Losheim gerät zwischen die Fronten.

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Die überlebenden Alendorfer sind am Nachmittag in ihr Heimatdorf zurückgekehrt und haben noch in der Nacht einen Bergungstrupp losgeschickt, der ihre Toten nach Alendorf zurück überführt hat. Von den Ahrdorfern haben nur zwei 16jährige Jungs schwer verletzt überlebt, so dass die Nachricht dort erst verzögert eintraf. Offenbar gab es dann zeitnah keine Gelegenheit mehr, die Toten aus den im Bahnhof Losheim abgestellten Wagen zu bergen. Als im Oktober die Amerikaner nach Losheim einrückten, versuchten sie, dem Leichengeruch durch Abbrennen der Wagons zu begegnen. Das gelang aber nur unvollständig und übrig blieben die verkohlten Leichen, die in dem ausgebrannten Eisengerippe des Wagens hingen. Schließlich wurde der junge Johann Meyer vom Bahnhof Losheim verpflichtet, die Leichen zu bergen und auf dem Losheimer Friedhof zu bestatten. Die Amerikaner hatten ihm dafür ein „richtiges“ Abendessen versprochen, aber davon ist ihm dann nur schlecht geworden.

Nach diesem verheerenden Unglück stellte die Reichsbahn den gesamten Zivilverkehr in der Westeifel und im Venn komplett ein. Die Loks wurden behelfsmäßig mit Splitterschutz an den Führerhäusern ausgerüstet, die Züge mit Flak-Wagen ausgestattet und hinter der Lok zwei Abstandswagen eingelegt, damit beim Angriff auf die Lok die vorderen Wagen möglichst nicht in Mitleidenschaft gezogen wurden. Das Lokpersonal bekam die Anweisung, bei einem drohenden Tieffliegerangriff sofort eine Schnellbremsung einzuleiten und abzuspringen. Wenn nach einem Angriff die Lok noch fahrfähig, aber der Zug beschädigt war, sollte sofort abgespannt und mit der Lok alleine weitergefahren werden.
Eine kleine Broschüre zum 80. Jahrestag der Ereignisse ist erhältlich bei webmaster@ahrdorf.de

Auch im ZVS St. Vith (Vol 60, 163-166) ist ein Bericht darüber erschienen.
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Zur Ardennen-Offensive fuhren dann noch ein oder zwei Züge über die Glaadter Tangente bis Stadtkyll und wurden dort entladen. Von einem Presseoffizier der Wehrmacht im November 1944 fotografierte Entladung von Infanterietruppen; im Hintergrund das Ausfahrtsignal Stadtkyll (Foto Robert Wulff).
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Rolf
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Re: Heute vor 80 Jahren: Tod in Losheim

Beitrag von Rolf »

Vielen Dank für den spannenden und erschütternden Bericht
reinout
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Re: Heute vor 80 Jahren: Tod in Losheim

Beitrag von reinout »

Bilder von der 50 2700 (später 052 700) gibt es hier, zum Beispiel dieses Bild aus 1972.

Reinout
Meine Eifelquerbahn in 1:87: EifelBurgenBahn (im Mittelrheinforum)
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